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In den Schuhen meiner Mutter

Familienmuster

Noch 35 Jahre später habe ich den intensiven Duft in der Nase: Bienenwachs und Leder. Ich habe es geliebt, diesen Schuhschrank zu öffnen, in dem all die Schuhe meiner Eltern lagerten, die nur zu besonderen Anlässen getragen wurden. Oder lange vor meiner Zeit zuletzt zum Einsatz kamen. Es gab feine, weiße Riemensandalen mit Pfennigabsatz – vielleicht waren es einmal Hochzeitsschuhe gewesen? Es gab klassische Pumps aus schwarzem Lackleder … Im Vorschulalter fand ich kaum etwas magischer als die Schuhe meiner Mutter. Ich rieb sie mit einem Tuch, bis sie glänzten, schlüpfte hinein und schlappte damit den Flur hinauf und hinunter.

Obwohl ich natürlich genau wusste, dass die Schuhe meiner Mutter gehörten, waren sie in meiner Welt nicht wirklich mit ihr verbunden – weil ich sie nie darin laufen sah. Aber eines Tages würde ich auch solche Schuhe tragen, dann würden die richtig auf dem Boden klackern und mir nicht halb von den Füßen fallen, ich würde elegant darin herumschweben wie eine Prinzessin … Wie gemein, dass Kinder keine hohen Absätze tragen durften.

Alles, nur das nicht

Die Schuhe, die meine Mutter wirklich trug, wollte ich dagegen niemals tragen. Weder im wortwörtlichen Sinne, noch im übertragenen. Sie legte wenig Wert auf besondere Bekleidung – das hätte auch gar keinen Sinn gemacht, während sie Kühe molk und Heu wendete. Und ich erlebte sie in einer Rolle, in die ich nicht schlüpfen wollte.

Ich wollte bestimmt nicht mein Leben lang um 5 Uhr morgens aufstehen, melken, ausmisten, Kühe füttern – das ganze Programm im Sommer oft bis zum Einbruch der Dunkelheit. Ich wollte nicht in einem Haus leben und in einer Beziehung stecken, in die ich so hingeraten war, und dann bleiben, obwohl es längst nicht mehr gut für mich war. Ich wollte niemals abhängig sein. Keine Kinder, kein Landleben, keine Aufopferung für ein paar Kröten. Vor allem aber wollte ich niemals in eine Situation geraten, die mich psychisch in den Abgrund reißt.

Klar, wer will das schon? Während andere Mädchen die Anzahl ihrer Kinder und ihre Hochzeit planten und für die Jungs in meiner Klasse klar war, dass sie den elterlichen Betrieb oder ein Baugrundstück im Dorf übernehmen würden – war klar, dass es hier nichts für mich gab. Nichts, was ich nachmachen wollte, keine vorgelebte Rolle, die ich neu interpretiert wiederholen könnte. Es gab keinen Platz, an dem ich sicher und aufgehoben war, so dass ich dort gerne bleiben wollte.

Ich war halt … komisch. Anders. Also nichts wie weg!

Mein eigenes Leben, meine Regeln

Sobald ich konnte, zog ich nach München. Weit genug weg von dort, wo ich nicht hingehörte, in eine Welt, in der alle anders waren, als ich es von zuhause kannte.

Trug ich dort hochhackige Schuhe? Nein. Das hatte ich mir sehr viel besser vorgestellt, als es für mich war. Als ein Kind, das ständig draußen herum gerannt, geklettert und mit dem Rad über Feldwege geheizt war, waren Absätze für mich mehr Behinderung als Glück. Wie sollte ich damit schnell zur U-Bahn flitzen, über den Bordstein hüpfen oder auf dem Rad den Stadtverkehr überleben?

Ich war also jung und frei und ganz anders, als meine Mutter. Ich hatte einen technischen Beruf gelernt, arbeitete entspannt im öffentlichen Dienst, hatte meine eigene kleine Wohnung, zog nachts um die Häuser, ging im Morgengrauen joggen und machte in meiner Freizeit (ja, ich hatte welche!) nur genau das, was mir Spaß machte.

Es schien mir leicht, nicht so zu leben, wie meine Mutter es tat. Schließlich hatte ich ein Beispiel, wie man bestimmt nicht glücklich und seines Lebens froh wird. Und für mich waren natürlich auch Dinge möglich, die ihr damals so vielleicht nicht offenstanden. Zwischen uns liegen nur zwanzig Jahre Altersunterschied – und doch Welten. Ich machte einfach alles anders, auch wenn ich wie sie praktische, flache Schuhe trug.

Und doch …

Eigentlich lief alles gut. Bis auf die Beziehungen, die ich führte. Egal, wie ich mich bemühte, egal, wie viel ich gab – so richtig schön wurde die Sache nie. Es blieb eine Distanz, eine Schweigemauer. Und das dumpfe Gefühl, dass ich einfach nicht liebenswert genug war. Ich genügte nicht. Musste mich anpassen, verbiegen, mich anstrengen. Und wurde trotzdem aussortiert.

Liebe war für mich theoretisch ein hohes Gut. Ein Ideal, von dem ich mir Erlösung, Halt und Befreiung zugleich versprach. Doch was ich an Loyalität und Rücksicht einbrachte, an Wandlungsfähigkeit und Toleranz – es war nicht genug.

Ich hatte einige Beziehungen, die rückblickend betrachtet, alle gleich waren. Währenddessen fiel es mir gar nicht auf. Aber es war so. Ich verzichtete auf mich selbst, auf meine Meinung, meine Wünsche, meinen Geschmack – für ein bisschen Liebe.

In den Augen der anderen suchte ich nach der Bestätigung, dass ich okay war, dass meine Mühen anerkannt wurden – und je mehr ich hampelte und nach Bestätigung suchte, nach etwas Rückhalt und Wärme, desto einsamer fühlte ich mich.

Auch in meiner Ehe lief ich bald wieder in dieses Muster. Ich suchte nach Bestätigung und gab mich dafür so weit wie möglich auf, suchte Harmonie – und fand mich allein.

Ich erwartete nichts großartiges für mich, setzte keine Grenzen, stapelte tief und übererfüllte die Erwartungen anderer. Ich war zum Spielball von Umständen geworden, die mir nicht wohlgesonnen waren.

Dreißig Jahre, nachdem ich die nach Bienenwachs und Leder duftenden Lack-Pumps meiner Mutter im Flur ausgeführt hatte, fiel es mir endlich auf: Ich lief tatsächlich in den Schuhen meiner Mutter.

Das alte Muster, neu gelebt

Das Gefühl der Abhängigkeit, der Wertlosigkeit, die Einsamkeit – ich wiederholte genau ihre Situation. Als ob ich davon eine Farbkopie gemacht hätte. Ich hatte später geheiratet, mein Kind später geboren, das Eigenheim auf dem Land kam lange danach erst dazu. Aber ihren Kampf, ihre Verzweiflung und das Gefühl der Ausweglosigkeit, das ich über so viele Jahre in ihr wahrgenommen hatte – ich fand in mir ein sehr lebendiges Echo davon.

Und das alles passierte NICHT, weil das eben so war oder andere Menschen böse und rücksichtslos mit mir umgingen. Das passierte, weil ich es völlig normal fand und es ihnen erlaubte. Ich genehmigte jede Abwertung von außen – indem ich nicht widersprach, nicht wütend wurde, nicht den Schmerz aushielt, dann eben mal nicht zumindest halbwegs akzeptiert zu sein. Was keine Abwertung anderer rechtfertigt. Aber endlich konnte ich selbst nach den Zügeln greifen und es anders machen.

Das zu begreifen, war ziemlich ernüchternd. Denn wie gesagt, mir war sehr bewusst, was in meiner Familie ablief und mir war schon früh klar: Das ist nicht der Sinn der Sache. Niemand gewinnt einen Preis dafür, besonders gelitten und sich selbst erniedrigt zu haben, auch wenn das die christliche Tradition so durch die Jahrhunderte gepredigt hat. Es zählt am Ende nicht, wie sehr du dich verbogen und geknechtet hast, sondern ob du dein Leben jetzt nutzt, um etwas wirklich Gutes zu machen. Ob du lebendig bist, ob du nach den Sternen greifst und ob du dazulernst, dich entwickelst, neugierig bist …

Theoretisch war mir das immer klar gewesen. Und doch saß ich heulend in der Ecke und fühlte mich wie ein schwarzes Loch. Ein Haufen Nichts, das keine Anerkennung fand und in diesem Leben leider voll daneben gegriffen hatte. Weil ich unbemerkt in die Schuhe meiner Mutter geschlüpft war und ihre Rolle neu interpretiert wieder auf die Bühne brachte. Das Opfer der Umstände, der Familie. Im Grunde wertlos, nur über die Erfüllung todlangweiliger Pflichten halbwegs akzeptabel. Mehr aber sicher nicht.

Tja, und ich dachte, mir passiert das garantiert nicht. Allen anderen vielleicht. Von Außen betrachtet erkennt man diese Muster, die sich von Generation zu Generation fortsetzen, nämlich viel leichter. Aber Wissen allein nützt nichts – die Rolle, die wir spielen, wird durch unsere Erziehung geschrieben. Und durch das, was wir von unseren Eltern sehen. Denn viel mehr als Worte prägen sich uns die Rollenvorbilder ein, deren Verhalten wir aufsaugen.

Das Familienmuster sagt Hallo

Mir ist zum Beispiel aufgefallen, wie sehr die Geburt meines Sohnes alte Floskeln und Sprüche hervorgeholt hat – die ich immer doof oder verletzend fand. Ich hätte sie nie zu Kollegen, Freunden, Partnern gesagt, weil sie nichts mit meinen (bewussten) Überzeugungen zu tun hatten. Aber sobald ich auf mein Kind reagierte – ploppten eine Menge dieser Sprüche in meinen Kopf. Sätze, die ich jahrelang vergessen hatte, lagen mir auf der Zunge und wollten dringend raus.

Ich behielt sie drin. Doch auch hier bemerkte ich, wie sich hinterrücks immer wieder Haltungen einschlichen, die ich meinem eigenen Kind gegenüber nicht an den Tag legen wollte. Die ich aber so als Muster-Umgang mit Kindern kennengelernt hatte. Und meine Erinnerung holte diese Muster hervor und ich wandte sie an – wenn ich sie nicht bemerkte und bewusst eine andere Entscheidung traf.

Selbstverständlich wollte ich selbst eine ganz andere Mutter sein. Ich wollte auch hier nicht in ihren Schuhen weiterlaufen und den Staffelstab weitergeben. Doch auch hier merkte ich, wie zäh all das an mir klebte und wie sehr ich mit mir selbst ehrlich sein musste, um quasi den Fluch abzumildern. Um das distanzierte, rein praktische Verhältnis und die ständige Wertung, die sich generationenweit in die Vergangenheit ziehen, in echte Nähe, in Zuwendung und Bestärkung zu wandeln. Ob mir das immer gelungen ist und gelingt? Mit Sicherheit nicht. Ich schaffe es besser, weil ich mir das immer wieder bewusst mache. Aber perfekt mache ich es bestimmt nicht.

Wie verbunden bist du mit dir selbst?

Von der Einsicht zur Wandlung

Für mein Kind habe ich mir die Schuhe meiner Mutter früher bewusst gemacht, als für mich selbst. Mein eigener Blick auf mich, auf meinen Wert, auf mein Selbstvertrauen und mein Gefühl der Abhängigkeit vom Zuspruch anderer, fiel mir sehr viel schwerer. Denn das betraf nicht nur meine Rolle als Mutter, die ja relativ plötzlich beginnt und einen großen Wandel im Leben einer Frau darstellt. Mein Umgang mit mir selbst und meine eigene Rolle in Beziehungen war ja seit vielen Jahren ständig da. Das war eben so, ganz normal.

Aber sobald ich es bemerkt hatte, hatte ich auch hier eine Wahl. Ich hatte die Wahl, mich selbst zu nähren, mir selbst erst einmal Liebe zu schenken, mich anzunehmen und meinen eigenen Wert für mich zu erkennen – unabhängig davon, ob andere mich lieb haben oder nicht. Rückblickend könnte ich sagen, es war gar nicht so schwer. Aber das wäre nicht ganz ehrlich. Die einzelnen Einsichten und Veränderungen waren kein Hexenwerk. Es war viel mehr so, dass vieles, was ich lange zuvor irgendwo aufgeschnappt und gelernt, aber nie wirklich integrieren konnte, plötzlich an seinen Platz fiel und Sinn ergab. Nach und nach fügten sich so viele Teile aneinander, dass ich Halt in mir selbst finden konnte, mich angenommen fühlte und schlicht damit aufhörte, mich anzupassen und übereifrig anderer Bedürfnisse zu erfüllen.

Der Weg geht weiter

Aber dieser Prozess war nicht immer angenehm. Es gab viele Erwartungen, auch an mich selbst, die ich loslassen durfte. Es gab viel Schmerz, der sich Bahn brach, viel von meiner Identität, das ich in Frage stellte. Ohne jeweils zu wissen, wohin mich das führt und ob es gut für mich sein würde. Wohin mich diese Wandlungen auch ganz praktisch bringen würden. So ein bisschen freier Fall, ein bisschen in tausend Stücke zerspringen und alles neu und liebevoll zusammen fügen.

Und ich bin damit noch lange nicht fertig. Immer wieder zeigt sich etwas, das meine Aufmerksamkeit braucht, eine Verletzung, ein altes Muster, eine schräge Überzeugung, die mich untergräbt. Aber das ist okay. Es ist ein Weg. Ein Weg, der einerseits in die eigene Tiefe führt. Dorthin, wohin man freiwillig oft nicht geht, weil man genau weiß, dass es ernüchternd und schmerzhaft werden wird. Und andererseits führt der Weg in ein Gefühl von Weite hinein. Die alten, viel zu engen Grenzen fallen weg. Der Spielraum wird größer. Und mit jedem weiteren Schritt merke ich, wie ich mich mehr entknote.

Das ist ein bisschen so, wie wenn man lange zusammengekauert saß und sich dann langsam wieder regt. Erst dann fällt der Krampf im Nacken auf, die Verspannung in der Schulter, das eingeschlafene Bein und die starren Gelenke. Das fühlt sich nicht so toll an. Aber sobald man sich lockert, sich streckt und das Blut wieder ungehindert alle Gliedmaßen versorgt, bekommt man Lust, aufzustehen und sich so richtig auszustrecken.

Und dieses Austrecken, das ist es, wofür sich jede noch so unangenehme Einsicht lohnt.

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Mein Name ist Karin Pelka und mein Herzensanliegen ist es, dich zu deinem bedingungslosen Ja zu dir selbst zu begleiten. Denn dieses Ja ist so kraftvoll und tiefgreifend, dass es keine faulen Kompromisse mehr zulässt. Dein Ja zu dir selbst bahnt dir den Weg zu deiner Erfüllung, deinem authentischen Wesen und zu echter, ungekünstelter Selbstsicherheit.

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