Hör doch einfach auf dein Gefühl! Das klingt so fluffig, so schlüssig und einfach. Und doch ist das oft ein sehr schlechter Rat. Denn die Gefühle, die wir täglich durchleben, sind nicht unbedingt die besten Ratgeber. Zumindest nicht, wenn wir sie nicht ganz bewusst wahrnehmen und verstehen, was da gerade in uns selbst passiert.
Denn was uns oft niemand sagt: Gefühle und Intuition sind nicht das Gleiche! Aber lass uns genauer anschauen, in welchen Situationen du deinem Gefühl nicht blind vertrauen solltest. Ich erkläre dir auch, warum das so ist. Und ich werde dir am Ende auch zeigen, wie du mit deinen Gefühlen am besten umgehst. So bist du in der Lage, besser durch dein Leben zu navigieren.
Also, warum solltest du deinen Gefühlen nicht blind vertrauen?
1. Gefühle beruhen sehr oft auf erinnerten Situationen.
Sie kommen immer dann wieder zum Vorschein, wenn etwas diese Erinnerung triggert. Mit der Gegenwart müssen sie gar nichts zu tun haben. Nehmen wir an, jemand hat sich beim Vorsingen in der Schule einmal so richtig bis auf die Knochen blamiert. Jedes Mal, wenn die Idee seinen Weg kreuzt, er könnte (für andere hörbar) singen, kommen diese miesen Gefühle von Scham, Unfähigkeit und Angst wieder. Und selbstverständlich würde dieser Mensch nun sagen: Ne, singen ist nichts für mich. Mein Gefühl sagt das ganz klar. Denn: Wir tun in der Regel alles, um schlechte Gefühle nicht noch einmal empfinden zu müssen.
Oft ist uns gar nicht unbedingt bewusst, woher unsere Ablehnung, diffuse Angst oder unser Unbehagen kommt, trotzdem hält es uns davon ab, etwas eigentlich nicht weiter Gefährliches zu tun. Eben weil die erinnerten Gefühle uns dringend davor warnen.
2. Gefühle sind die Verkörperung unserer Glaubenssätze.
Aus diesen negativen Erinnerungen werden im Laufe unseres Lebens feste Überzeugungen. Dass wir nicht vor anderen sprechen können, dass wir zu schwach oder hilflos sind, dass wir für bestimmte Dinge nicht geschaffen sind … Je öfter wir bestimmte Erfahrungen machen, desto tiefer gräbt sich die jeweilige Überzeugung in uns ein.
Und unser Körper wird zum Spiegelbild unserer Überzeugungen. Sobald wir an die Grenzen unserer Überzeugungen rühren, spüren wir große Unsicherheit, Angst, fürchten Beschämung, Ausgestoßensein. Und wir schrecken dann sehr schnell davor zurück, über diese Grenzen hinauszugehen.
Unsere Gefühle halten uns damit innerhalb unserer „Komfortzone“. Ich setze das in Anführungszeichen, weil die Komfortzone nicht unbedingt etwas mit Behaglichkeit zu tun haben muss. Sie ist nur eben alles, was wir kennen und worin wir gewohnt sind, uns aufzuhalten. Auch wenn wir darin leiden und nicht erreichen, wonach wir uns sehnen. Hier auf unser Gefühl zu hören, hält uns auf ewig innerhalb unserer „Komfortzone“ und verhindert, dass wir entdecken, was wir wirklich alles können und sind.
3. Gefühle haben viel mit erlernten Normen zu tun.
Wenn wir beispielsweise lernen, dass wir immer nett sein sollen und auf keinen Fall unhöflich sein dürfen, bekommen wir sofort ein ganz mieses Gefühl, wenn wir (aus Versehen) nicht nett sind. Wenn wir gelernt haben, dass Bescheidenheit ultimativ wichtig ist, werden wir ein ganz blödes Gefühl dabei haben, uns selbst in einem guten Licht darzustellen und uns öffentlich auf die Schulter zu klopfen.
Das fühlt sich einfach verkehrt an. Dabei ist nichts davon grundsätzlich verkehrt. Auch unhöflich zu sein, ist manchmal angemessen. Doch weil wir seit frühester Kindheit ganz genau lernen, welche sozialen Regeln wir befolgen müssen, um für unser Umfeld okay zu sein, bekommen wir ganz schnell Angst, wenn wir diese Regeln übertreten. Auch, wenn sie uns schaden, uns Schmerz zufügen oder uns Dinge aushalten lassen, die wir objektiv betrachtet absolut nicht aushalten müssten.
In diese Kategorie gehören auch Rollenbilder, die wir unbewusst erfüllen. Wir wir uns als Frau, Mutter, Tochter, Geliebte, Ehefrau verhalten, steuern unsere oft unbewussten Empfindungen, die uns sagen, was „angemessen“ ist. Auch wenn wir das objektiv womöglich anders sehen.
4. Gefühle werden durch (negative) Gedanken getriggert.
Sobald wir etwas denken, hat das Auswirkungen auf unsere körperlichen Empfindungen. Auf unsere Gefühle also. Denken wir intensiv an etwas Schönes, entspannt sich der Körper, denken wir an eine mögliche Katastrophe, schalten wir in den Angst-Modus. Kampf oder Flucht? Oft entscheiden wir uns eher für die Flucht, wenn wir einem Kampf noch ausweichen können.
So reicht oft ein negativer Gedanke, was alles passieren könnte, um den Körper unter Stress zu setzen. Was wir dann fühlen? Dass wir diese Situation um jeden Preis vermeiden müssen, dass es viel zu gefährlich ist, dass wir uns abgrundtief blamieren werden! Auf diese Gefühle zu hören, macht aber wirklich wenig Sinn, denn sie sagen nichts darüber aus, ob etwas für uns gut oder sinnvoll wäre. Sie sagen nur, wie wir auf unsere eigenen Gedanken reagieren. Das Gemeine dabei: Unsere Gefühle lösen weitere Katastrophen-Gedanken aus, die uns wiederum noch mehr Angst empfinden lassen … Wir werden so immer tiefer in den Strudel aus Gefühlen und Gedanken hineingezogen.
Und, ja, unser Gehirn übertreibt mit seinen negativen Vermutungen so gut wie immer. Einfach, um uns vor jeder möglichen, noch so kleinen Gefahr zu beschützen. Doch so überbewerten wir Gefahren regelmäßig, fühlen uns ängstlich, hören auf unser Gefühl – und trauen uns nicht, das zu tun, was eigentlich gut und richtig für uns wäre.
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5. Gefühle spiegeln dir, wie es dir gerade geht.
Bist du ausgeschlafen, satt, in der Mitte deines Zyklus, die Sonne scheint und du hast frei? Ich wette, du fühlst dich gut und wirst in diesem Zustand weit weniger ängstlich auf ungewohnte Aufgaben oder Herausforderungen reagieren.
Bist du dagegen krank, müde, hungrig, hast du Schmerzen und außerdem regnet und stürmt es seit drei Tagen und du musst trotzdem raus, um etwas Essbares zu besorgen, dann wirst du wahrscheinlich schon die lange Schlange im Supermarkt für den ultimativen Endgegner halten und dich weit weg wünschen.
Die körperliche Verfassung hat einen großen Einfluss darauf, ob wir entspannt und mutig sind, oder ob uns Kleinigkeiten bereits überfordern und negative Gefühle auslösen. In der Regel fühlen wir uns ja nicht entweder super-über-toll oder super-down, sondern rangieren irgendwo zwischen diesen Polen. Und meist fällt uns gar nicht auf, wie es uns so geht – bis unser körperlicher Zustand besondere Aufmerksamkeit verlangt. Doch jeder körperliche Zustand hat auch Auswirkungen darauf, was wir uns zutrauen, wie wir denken, fühlen und handeln. So kann der unterschwellige Hunger oder der kneifende Hosenbund leicht dazu führen, dass wir schneller frustriert sind und aufgeben oder unsere Situation negativer bewerten, als sie ist.
6. Gefühle sind oft eine Spiegelung unseres Umfeldes.
Ist dir schon einmal aufgefallen, dass du in der Gegenwart mancher Menschen mutiger und entspannter bist, als in der von anderen? Menschen haben schlicht eine unterschiedliche Wirkung auf uns (und wir auf sie). Durch unsere Spiegelneuronen bilden wir unbewusst die Gefühle anderer nach, um sie zu verstehen. Das ist eine soziale Strategie, die uns ermöglicht, in Gruppen zusammenzuleben, ohne ständig aneinanderzugeraten und uns gegenseitig an die Gurgel zu springen. Wir bemerken dank der Spiegelneuronen, wenn jemand droht wütend zu werden, wann jemand Hilfe braucht, ob jemand einen Spaß macht oder ob er Aggression zeigt. (Bei Textbotschaften helfen zb Emojis, die richtigen Emotionen mitzuliefern).
Wie uns also fühlen, ob wir uns etwas zutrauen oder ob wir uns klein, dumm und unfähig fühlen, hat viel mit den Menschen zu tun, mit denen wir uns umgeben. Einfach, weil wir deren Emotionen und Einstellungen zu einem gewissen Grad übernehmen und als Rückmeldung für uns selbst interpretieren. Auch, wenn diese Menschen sich nicht geringschätzig über unsere Ideen äußern, wir spüren, wenn wir keinen Rückhalt haben und werden unsicher. Auch die generelle Energie einer Gruppe färbt auf uns ab, lässt uns entweder an Wunder glauben oder im Frust versinken – und das hat unter Umständen sehr wenig mit uns selbst zu tun.
Aber sind Gefühle jetzt einfach nur doof und unnütz?
Nein, absolut nicht! Wichtig ist nur zu verstehen, dass sie keine zuverlässigen Signale dafür sind, was du tun solltest und was nicht. Sie sagen dir aber mit großer Präzession etwas anderes:
- Welche Überzeugungen du verinnerlicht hast
- Welche Erfahrungen du in deinem Leben gemacht hast
- Wo die Grenzen deiner erlernten sozialen Normen liegen
- Wie du deine sozialen Rollen zu spielen gelernt hast
- Welche Gedanken dir durch den Kopf schießen
- Wie es dir insgesamt gerade geht
- Wie dein Umfeld gestrickt ist und wie es auf dich wirkt
Und das sind wirklich großartige Aspekte!
Das Problem ist nur, dass wir meist unbewusst durch unser Leben gehen und unsere Gefühle uns durch unseren Alltag und unser Leben steuern. Wir vermeiden alles, was uns Angst macht und unangenehme Gefühle auslöst, weil wir das auf keinen Fall spüren wollen. Und wir halten uns an das, was wir schon kennen, was normal ist und wo wir keine große Unsicherheit aushalten müssen.
Doch immer dann, wenn wir merken, wir würden gerne etwas Neues wagen, über uns hinaus wachsen, stehen wir einem Gefühlschaos gegenüber, mit dem wir nicht gelernt haben, sinnvoll umzugehen. Wir deuten dann Ängste als Zeichen dafür, dass etwas nicht für uns geeignet ist, und drehen frustriert um. Oder versuchen es trotzdem, scheitern dann schon am ersten Hindernis und geben direkt auf, statt es einfach nochmal zu versuchen.
Unsere Gefühle halten uns so recht zuverlässig genau da, wo wir schon sind.
Das muss aber nicht so bleiben! Bewusstsein ist hier, wie in allen anderen Lebensbereichen auch, der Schlüssel.
So machst du dich mit deinen Gefühlen vertraut
Je besser du deinen eigenen Gefühlen zuhörst, je mehr du versuchst, sie zu verstehen und einzuschätzen, woher sie rühren, desto eher bist du in der Lage, wirklich gute Entscheidungen für dich zu treffen.
Hier ist Übung das Schlüsselwort. Von einem Moment auf den anderen zu verstehen, was gerade in dir passiert, könnte schwierig sein, wenn du damit noch gar keine Erfahrung hast. Doch das lässt sich lernen. Es erfordert lediglich etwas Achtsamkeit, den Mut, wirklich hinzufühlen, und eine Portion Neugierde!
Werde zu deiner eigenen Gefühls-Detektivin und finde heraus, was in dir hohe Wellen schlägt.
Die wichtigsten Tipps im Umgang mit deinen Gefühlen:
- Mach dir klar: Deine Gefühle sind nicht gefährlich, auch wenn sie sich so anfühlen. Und egal, was du gerade durchmachst, deine Empfindungen sind Teil deines Menschseins. Sie gehören dazu, sind Teil deines Wegs. Nicht das Ende davon.
- Fühle hin! Nimm dir Zeit, erkunde deine Empfindungen, als wärst du eine Wissenschaftlerin auf Forschungsreise. Benenne, was du wahrnimmst, beobachte, wie sich deine Empfindungen verändern.
- Frage deine Gefühle, was sie dir sagen wollen. Lasse Bilder vor deinem inneren Auge aufsteigen, lasse deine Gedanken frei assoziieren. Tauche da Glaubenssätze auf, Erinnerungen? Oder Geschichten, die du gehört oder miterlebt hast? Was sagt dein Gefühl über dich, über die Welt, über deine Rolle darin?
- Akzeptiere, dass dieses Gefühl da ist, nimm es an. Es zu bekämpfen wird nicht gelingen. Besser ist es, ihm Danke zu sagen, dass es dich warnt und dir Botschaften übermittelt. Es macht einen guten Job!
- Triff deine Entscheidungen achtsam und bewusst. Jetzt, wo du dich selbst besser verstehst, kannst du deine nächsten Schritte so planen, dass du dich nicht heillos überforderst. Du kannst dir erlauben, langsam über deine alten Grenzen hinauszuwachsen und dir Unterstützung zu holen, wenn du sie brauchst.
- Rückschläge bedeuten dann nicht mehr, dass etwas mit dir nicht stimmt, sondern dass deine verinnerlichten Grenzen dir noch Schwierigkeiten machen. Du musst sie also nicht mehr persönlich nehmen und dich von ihnen in deine alten Schranken verweisen lassen.
- Habe in jedem Fall Geduld mit dir selbst, gehe respektvoll und fürsorglich mit dir selbst um.
Wenn du entscheidest, welchen Weg du einschlägst, sollte niemals Angst den Ausschlag geben! Viel wichtiger sind Freude, Neugierde, ein Gefühl von Sinn und Bedeutung, deine Wünsche und Träume. Wenn Angst dem entgegensteht, dann darfst du diese Angst annehmen, sie verstehen lernen – und dann in kleinen, für dich machbaren Schritten trotzdem in die Richtung gehen, die du dir wünschst.
(c) Beitragsfoto: stock_colors // Getty Images Signature, lizensiert durch Canva
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